Interview mit der früheren Sprinterin Andrea Ziercke

Einstige Weltklasse-Athletin aus Schwerin u.a. über die Leichtathletik 2008 …

Beim Sport-und Fitness-Tag unter dem Motto „Fit ins Jahr 2008“ im Wismarer Sportzentrum „Wonnemar“ war Andrea Ziercke (frühere Philipp) der Gast-Star.

Die 36jährige Athletin, die viele Jahre beim Schweriner Sportklub trainierte, gehörte in den 1990er Jahren zur absoluten Weltklasse im Sprintbereich.

Andrea Philipp-ZierckeSteckbrief

– Geburtsjahr: 1971 in: Bützow
– Trainer: Bernd Jahn
– Vereine: 1984-1994 Schweriner SC, 1995 TV Schriesheim, 1996-2003 LG Olympia Dortmund
– Erfolge (Auswahl): Olympia-Teilnehmerin 1992, 1996, 2000 / Junioren-WM: 1990 Gold (100 Meter) / WM: 1999 Bronze (200 Meter) / EM: 1998 Silber (4 x 100 Meter)

Frage: Andrea, seit rund fünf Jahren sind Sie im „sportlichen Unruhestand“. Wie hält sich eine einst erfolgreiche Leichtathletin wie Sie nach der leistungssportlichen Karriere fit ?

Andrea Ziercke: Ich bin Trainerin bei der SG Dynamo Schwerin und betreue dort Kinder insbesondere im Vorschulbereich, um sie für den Sport zu begeistern und ihren Teamgeist zu entwickeln.

Es ist enorm wichtig, dass die „Kids“ gerade auch über den Sport lernen, mit Niederlagen umzugehen und die Leistungen der anderen anzuerkennen.

Damit tun sie sie nicht nur eine Menge für ihre Bewegung bzw. Gesundheit, sondern können ebenfalls viel für ihr weiteres Leben lernen, wenn es gilt Enttäuschungen wie Erfolge richtig einzuordnen sowie zu verarbeiten.

In einem Kindergarten in Retgendorf bin ich ebenfalls als Trainerin aktiv, versuche dort, den Jüngsten für den Sport zu gewinnen.

Ich selbst treibe – neben den aktiven Übungen mit den Kindern – natürlich auch noch Sport … Einmal wöchentlich widme ich mich Yoga und zudem fahre ich Rad nach dem Motto „Wer rastet, der rostet !“.

Senator Beyer u. A.ZierckeFrage: Ein Jahrzehnt von 1990 bis 2000 gehörten Sie zur absoluten Weltklasse im Sprint.
Junioren-Weltmeisterin 1990, Staffel-Vize-Europameisterin 1998, WM-Dritte 1999 und dreifache Teilnahme an Olympischen Spielen (1992, 1996, 2000) sind die herausragenden Höhepunkte Ihrer sportlichen Laufbahn.
 
Blickt man auf die letzten drei Leichtathletik-WM zurück, auch wenn es 2007 in Osaka einen leichten Aufwärtstrend gab, „läuft“ die deutsche Leichtathletik der Weltspitze „hinterher“.

Schinden sich die Leichtathletik-Talente von heute nicht mehr so wie in früheren Zeiten ? Was müßte sich strukturell in puncto Leichtathletik in Deutschland aus Ihrer Sicht ändern ?

Andrea Ziercke: Das kann man so nicht verallgemeinern. Heute ist es wesentlich schwieriger geworden, Ausbildung, Beruf und Sport miteinander zu verbinden.

Auch die Sponsorengelder sprudeln nicht mehr so üppig wie in früheren Zeiten. Sicherlich können die Stars in der Leichtathletik mit ihrem Sport auch ihren Lebensunterhalt bestreiten, aber die überwiegende Mehrheit hat oftmals die Dreifach-Belastung Sport, Ausbildung/Beruf und Familie.

Sicherlich wäre es sinnvoll – so gut die föderalen Strukturen in Deutschland auch sein mögen – eine größere Zentralisierung der Leichtathletik-Zentren zu schaffen, damit sich die Talente in Deutschland gegenseitig nach vorn pushen können.

Vielleicht wäre somit ebenfalls eine bessere Koordinierung zwischen schulischer Ausbildung und dem erforderlichen Training möglich ?!

Frage: Für viele negative leichtathletische Schlagzeilen sorgte zuletzt der einstige amerikanische Leichtathletik-Star Marion Jones.

Waren Sie über die „Dopingenthüllungen“ von ihr überrascht ? Sie selbst mußten bei internationalen Meisterschaften gerade gegen die „nicht saubere Konkurrenz“ Niederlagen hinnehmen …

Andrea Ziercke: Ich wollte immer ehrlichen Sport betreiben. Ehrlich und aufrichtig gegenüber mir selbst und den Zuschauern, den Fans, der Familie.

Natürlich ist es schon enttäuschend, wenn sich die vermeintlichen Siegerinnen von früher, zu denen man schon aufschaute, nun als gedopte Athletinnen entlarven.

Gemunkelt wurde bereits in meiner aktiven Zeit, ob z.B. das Leistungsvermögen einer Marion Jones nicht doch „widernatürlichen Ursprungs“ sind.

Aber so lange keine Beweise da waren, hielt man sich zurück …

Doch ich verschwende keine unnötige „Energie“, entgangenen Medaillen oder Endlauf-Platzierungen bei internationalen Meisterschaften nachzutrauern.

Für mich galt die Einstellung „Überwinde den inneren Schweinehunde und hole das Maximale heraus !“.

Ich war Junioren-Weltmeisterin, Vize-Europameisterin, WM-Dritte und Olympia-Teilnehmerin – für mich war und ist der Sport mein Leben.

Ohne die vielen positiven und auch negativen Erfahrungen in meiner leichtathletischen Laufbahn wäre mein Leben aber auf jeden Fall ärmer.

Ich möchte den Sport nicht missen !

Andrea Ziercke in AktionFrage: Bei den Olympischen Spielen in Peking hegen vor allem die deutschen Kugelstoßer bzw. Kugelstoßerinnen, die Diskuswerfer mit Vize-Weltmeister Robert Harting und vor allem mit der amtierenden Weltmeisterin Franka Dietzsch, die Stabhochspringer um Tim Lobinger, die Speerwerferinnen um die von der Insel Rügen stammende Steffi Nerius bzw. Christina Obergföll und die Hammerwerferin Betty Heidler (Weltmeisterin 2007) Medaillen-Träume.

Aus M-V werden sicherlich neben der „Miss Diskuswerfen“ Franka Dietzsch, auch Petra Lammert und Ralf Bartels (Kugelstoßen), Sonja Kesselschläger (Siebenkampf), Ulrike Maisch (Marathon)und Mark Frank (Speerwerfen) bei Olympia 2008 starten.

Wie ist Ihre Prognose für die olympischen Leichtathletik-Wettkämpfe 2008 – für das deutsche Team allgemein sowie für die möglichen M-V-Starter speziell ?

Andrea Ziercke: Unsere „Grande Dame“ Franka Dietzsch wird es schon machen.

Olympisches Gold müßte sie ohnehin schon allein wegen ihrer Verdienste um die Leichtathletik bekommen.

Sie ist bestimmt „heiß“ auf Peking und will es dort wissen.

Spielt die Gesundheit mit, wird Franka erfolgreiche Spiele erleben.

Auch von Ralf Bartels oder Petra Lammert erhoffe ich mir einiges …

Aber im Sport ist nichts planbar. Jeder Erfolg will neu errungen sein.

Es ist für unsere Athleten aber sehr wichtig, dass sie früh die Leistungsnorm für Olympia packen. Das schafft Selbstvertrauen und die notwendige innere Ruhe in der Vorbereitung.
Das macht es dann auch in den olympischen Vorkämpfen leichter …

Ansonsten denke ich, dass die deutschen Werferinnen und Werfer eine „sichere Bank“ sind.

Und sicherlich „rollt“ noch jemand „von hinten“ das Feld auf – das würde der deutschen Leichtathletik gut tun.

Frage: Sie selbst sind seit 2005 Athletensprecherin beim Deutschen Leichtathletik-Verband. Was beinhaltet eigentlich diese Funktion ?

Andrea Ziercke: Ich bin Ansprechpartnerin der Athletinnen und Athleten bei sportlichen oder persönlichen Problemen. Ich gebe ihnen Tipps und Ratschläge z.B. für die Koordinierung von Ausbildung und Sport.

Außerdem weise ich auf mögliche Ausbildungspartner, wie z.B. die Bundeswehr, hin.

Zudem bin ich auch in Nominierungsfragen involviert. Ich versuche halt „ein offenes Ohr“ für unsere Athleten zu haben.

Frage: In Ihrer aktiven Zeit war Bernd Jahn Ihr Erfolgscoach. Haben Sie noch engen Kontakt zu ihm ?

Andrea Ziercke: Selbstverständlich. Gerade Bernd Jahn habe ich viel zu verdanken, meinen Aufstieg in die Weltspitze und die vielen Erfolge.

Und gerade zum Schweriner SC habe ich gute Kontakte zu guten (sportlichen) Bekannten !

Letzte Frage: Welche sportlichen Ambitionen im Freizeitbereich haben Sie noch (Teilnahme am Marathon, Bergsteigen, Rennsteiglauf) ?

Andrea Ziercke: Na, bloß keinen Marathon, das überlasse ich lieber der Rostocker Europameisterin Ulrike Maisch.

Übertriebene Ausdauer ist ohnehin wegen meiner Knieverletzung, wegen der ich ja auch meine sportliche Laufbahn beenden mußte, nicht möglich.
Aber im Herbst 2007 war ich auf „Wanderschaft“.

Mit einer Freundin legten wir an fünf Tagen 100 Kilometer im Harz zurück – bei extremen Bedingungen.

Ähnliches ist im Frühjahr geplant.

Ansonsten bleibe ich lieber beim Yoga und Radfahren …

Letzteres ist ja dank Rad-Olympiasieger Stefan Nimke aus Schwerin mittlerweile eine mecklenburgische Erfolgssportart !

Marko Michels

Fotos: DLV / Autogrammkarte / M.M.

Foto-Anmerkung (Foto 2): Wismars Senator für Bildung und Kultur, Jugend und Sport sowie Soziales und Gesundheit, Thomas Beyer,  mit der einstigen Weltklasse-Sprinterin vom Schweriner SC vor dem Wonnemar Wismar. mm

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