Im Blickpunkt: Die Äußerungen des M-V-Ministerpräsidenten zur DDR

„Nicht einmal eine `Spur` wirkliche Menschlichkeit …“

5 Tage danach. Aber die Diskussion unter Politikern, von links bis rechts, von Historikern, Politikwissenschaftlern und SED- wie Stasi-Opferverbänden zu den Verlautbarungen des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern via „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ zur DDR-Vergangenheit ebben nicht ab …

Insbesonders Sellerings Äußerung, dass zur DDR auch immer ein „Schuß Willkür“ gehört habe, erwies sich als „ verbaler Schuß in den Ofen“.

Was besonders bitter ist, dass wieder einmal vorgebliche DDR-Sozialleistungen herhalten müssen, um einer Diktatur Menschlichkeit zuzugestehen, die diese nie hatte.

Weder Gesundheitswesen, noch Kinderbetreuung, noch Subbotniks, noch Pittiplatsch, der Liebe, der nach dem Willen der SED-TV-Obrigkeit sogar vom Bildschirm verbannt werden sollte, hätte es nicht massive Proteste seitens des gemeinen DDR-Bürgers gegeben, noch FKK rechtfertigen Mauer bzw. Mauer-Tote, Stacheldraht, Militarisierung der Gesellschaft, politische Häftlinge und aus politischen Gründen Ermordete, noch Stasi, FDJ und NVA.

SPDSchlimm ist allerdings, dass ein führender Sozialdemokrat in Mecklenburg-Vorpommern, Regierungschef noch dazu, die eigene Parteigeschichte unter den Teppich kehrt.
Haben führende Sozialdemokraten hierzulande etwa vergessen, wie sich nach der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD 1946 mecklenburgische bzw. vorpommersche Sozialdemokraten, die entweder der SED erst gar nicht beitraten oder in die SED zwangseingegliedert wurden, zum Widerstand gegen die kommunistische Führungsspitze der SED Mecklenburg-Vorpommern um Kurt Bürger, Willi Bredel, Hans Warnke und Bernhardt Quandt formierten.

Sozialdemokraten wie z.B. Albert Schulz, Karl Moritz, Bernhard Pfaffenzeller, Albert Kruse, Robert Brinkmann, Friedrich Schwarzer, Otto Voß, Wilhelm Dührung, u.v.a.m., die in die SED zwangseingegliedert wurden (Ein Aufnahmeverfahren für Mitglieder der SPD in die SED gab es nicht; sie wurden „formell“ Mitglieder der SED, behielten aber ihre SPD-Mitgliedsbücher.) versuchten zunächst in öffentlichen Funktionen, die sie ausübten, so als Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landrat oder Gemeindevertreter, sozialdemokratische Politik und Ideen auch innerhalb der SED durchzusetzen.

Für die sozialdemokratischen Funktionsträger in der russischen Besatzungszone galt die von Dr.Kurt Schumacher, Vorsitzender der SPD in den Westzonen, für den die Einheitssozialisten ohnehin nichts anderes waren als „rot lackierte Nazis“, gegebene Order, „in Funktionen und im Amt zu verbleiben, solange nichts zugemutet werde, dessen sich ein Sozialdemokrat schämen müsse“. Diese hofften damals noch, 1946, vor allem auf eine baldige Wiederzulassung der SPD auch in Mecklenburg-Vorpommern nach entsprechenden Verhandlungen der vier Siegermächte des zweiten Weltkrieges. Daneben, zusätzlich leisteten andere mecklenburgische Sozialdemokraten innerhalb und außerhalb der SED, wie beispielsweise Helmut Hiller, Henning von Kos, Walter Freese, Willi Visser, Heinrich Beese oder Willi Mausolf, Fundamentalopposition gegen die SED und deren Politik in M-V.

Diese Sozialdemokraten hatten vorwiegend keine bedeutende öffentliche Funktion inne und konnten daher offensiveren Widerstand gegen die Stalinisierung der Gesellschaft leisten. Zumeist handelte es sich hierbei um frühere SPD-Mitglieder, die als Kontakt- und Verbindungsleute des SPD-Ostbüros den antistalinistischen Widerstand in M-V koordinierten und gestalteten. Allerdings unterhielten auch Funktionsträger wie Rostocks Oberbürgermeister Albert Schulz, Wismars Oberbürgermeister Herbert Säverin, Schwerins Bürgermeister Albert Kruse oder der stellvertretende Landrat Wilhelm Dühring in Neubrandenburg Kontakte zum SPD-Ostbüro, der Widerstandsbewegung der gesamtdeutschen SPD gegen die sich etablierende SED-Diktatur. Generell hatte das SPD-Ostbüro innerhalb der antistalinistischen Widerstandsbewegung in M-V eine herausragende Bedeutung.

Dank des politischen Engagements, z.B. von Willi Visser (Wismar), Bernhard Schwerdfeger (Schwerin), Hermann Witteborn (Schwerin, AB Ende 1947 hauptamtlicher Mitarbeiter des SPD-Ostbüros in Westdeutschland), Walter Freese (Greifswald) oder Wilhelm Dühring (Neubrandenburg), konnten Flugblattaktionen gegen die SED-Politik in zahlreichen Großstädten durchgeführt, Zeitungen der westdeutschen SPD verteilt bzw. Diskussionen zur Gestaltung des Widerstandes in M-V initiiert werden. Die Aktivitäten des SPD-Ostbüros und deren Unterstützung durch die in die SED zwangseingegliederten Sozialdemokraten symbolisierten den vitalen, offensiven Widerstand der unterdrückten mecklenburgischen Sozialdemokratie gegen die SED-Herrschaft.

Zweifellos war auch das Aufbegehren der sozialdemokratischen Funktionsträger nach der Zwangsvereinigung gegen den kommunistischen Führungsanspruch in M-V äußerst bedeutsam. In Fragen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Privateigentums propagierten Sozialdemokraten wie Albert Schulz, der Rostocker OB, Otto Voß, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des mecklenburgischen Landtages, Albert Kruse, Bürgermeister und Stadtrat Schwerins, oder Karl Moritz, Mitglied des Landtages aus Wismar, mutig unabhängige sozialdemokratische Positionen, die konträr zur Meinung der früheren Kommunisten in der SED standen.

Als Reaktion auf den sozialdemokratischen Widerstand, auf das sozialdemokratische Aufbegehren innerhalb und außerhalb der SED versuchten die führenden mecklenburgischen KPD-Vertreter in der „Einheits“partei und die russische Besatzungsmacht, mittels „Sicherheitsorganen“ und „Geheimpolizei“  den Widerstand der SPD-Mitglieder in der SED zu brechen. So wurden Schauprozesse gegen namhafte mecklenburgische Sozialdemokraten angestrengt, z.B. 1947 gegen den Rostocker Stadtrat Hans Griem bzw. 1949 gegen den Rostocker Stadtrat Martin Müller.

Der FDGB-Landesvorsitzende Hans Pollok (SPD) wurde gewaltsam aus seinem Amt gedrängt. Zahlreiche Verhaftungen von Sozialdemokraten wurden vorgenommen, z.B. 1946 Verhaftung des ehemaligen SPD-Landesgeschäftsführers Willi Jesse, 1947 Verhaftung des Rostocker OB Albert Schulz, 1948 Verhaftung des ersten SPD-Nachkriegsvorsitzenden des Landkreises Wismar Karl Moritz bzw. 1949 Verhaftung des Schweriner Sozialdemokraten Helmut Hiller. Andere frühere SPD-Mitglieder drängten kommunistische Funktionäre im Zusammenspiel mit der russischen Besatzungsmacht aus öffentlichen Funktionen und Ämtern, z.B. 1947 Ansetzung von Robert Brinkmann als Wismarer Landrat bzw. 1950 Abesetzung von Alfred Starosson as Minister für Handel und Versorgung in Mecklenburg.

Wie drakonisch die kommunistischen „Sicherheitsorgane“ gegen Sozialdemokraten, die sich zudem beim SPD-Ostbüro engagierten, beweisen Tausende Schicksale sozialer Demokraten zwischen Schönberg und Usedom. Inhaftierungen mußten Erich Krüger, nach 1945 Mitbegründer der SPD in Mecklenburg und zweiter SPD-Landessekretär in Schwerin, Hans-Joachim Roskam, nach 1945 u.a. Landesbeauftragter für die Wahlen bzw. persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Wilhelm Höcker, Erich Becker, nach 1945 Vorsitzender der SPD in Woldegk und SPD-Sekretär in Schwerin, und Heinrich Beese, nach 1945 Parteisekretär in Rostock, hinnehmen.
Erich Krüger wurde im Mai 1946 in seiner Schweriner Wohnung von Vertretern der russischen Geheimpolizei erschossen, Hans-Joachim Roskam wurde Ende 1949 ebenfalls von Vertretern der russischen Geheimpolizei in Haft genommen und ins GPU-KZ Fünfeichen gebracht, in dem er auch starb. Heinrich Beese und Erich Becker wurden 1949/50 von sowjetischen Militärtribunalen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Der „Sozialdemokratismus“ sollte in der DDR mit „Stumpf und Stiel ausgerottet werden“. Rund 25000 ehemalige Sozialdemokraten im heutigen Mecklenburg und Vorpommern wurden bis 1970 verhaftet, aus öffentlichen Ämtern gedrängt, wurden bespitzelt und drangsaliert, mußten aus der DDR fliehen, hatten nie die Chance in der angeblich so sozialen DDR-Gesellschaft.

Was die DDR vor allem aufwies, waren nicht „schöne Kindergärten“, „gut funktionierende Polikliniken“ oder „nette Kinderferienlager“, es waren Inhumanität, Selbstbetrug und nie aufhörende Willkür.

Die DDR hatte nicht nur einen „Schuß Willkür“ – und besaß nicht einmal „eine `Spur` wirkliche Menschlichkeit“.

Wie sagte schon Martin Niemöller: „Der Kommunismus wird versagen und verschwinden, denn er hat keine Antwort oder eine falsche und irreführende Antwort auf die entscheidende Frage: `Wie können menschliche Wesen endlich wirkliche Menschen werden ?` – Die Würde des Menschen geht (im Kommunismus) verloren und seine Freiheit wird zerstört. Am Ende bedeutet kommunistischer Idealismus nur Nihilismus und deshalb ist er kein Weg zu tatsächlicher Menschlichkeit.“

Wo bleibt jetzt die „Schar Sozialdemokraten“, die einmal „Tacheles“ zur DDR-Vergangenheit redet ?!
Willy Brandt sagte einmal mit Blickrichtung aud die real existierenden sozialistischen Systeme in der Welt: „Wo immer den Menschen schweres Leid zugefügt wird, geht es uns alle an. Vergessen wir nie: Wer Unrecht lange gewähren lässt, bahnt dem nächsten den Weg!“

Damit ist auch jede Form der „Geschichtsklitterung“ gemeint, die den Opfern, den Bedrängten und Diskriminierten von einst erneutes Leid zufügt ! Diktatur bleibt Diktatur – ein menschliches Antlitz hat diese nie.

Dr.M.Michels

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