Interview mit der Juristin Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider

Das Grundgesetz wird 60 Jahre …

Nach heftigen Diskussionen, unendlichen Debatten und vielen Vorbehalten schlug um Punkt 0 Uhr in der Nacht vom 23. zum 24.Mai die schwere Geburtsstunde des Grundgesetzes. Schon die Bezeichnung deutete auf ein Provisorium hin, keine endgültige Verfassung.

Zu zerrüttet, zu ungewiss war letztendlich auch die tatsächliche „Verfassung“, Zukunft Deutschlands im Mai 1949: Geteilt in vier Besatzungszonen, wobei in der russischen Besatzungszone die Zeichen in Richtung Diktatur standen – nach der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD und der beginnenden (gewaltsamen) Gleichschaltung von CDU und LDP.

Bereits mehr als zwei Wochen vor dem „In-Kraft-treten“ wurde das Grundgesetzes vom Parlamentarischen Rat u.a. gegen die Stimmen von CSU und KPD angenommen. Dessen Mitglieder lieferten sich zum Teil heftige Wortgefechte und die Befürworter um den Kronjuristen und Universal-Denker Carlo Schmid setzten sich jedoch durch.

70 Mitglieder gehörten dem Rat an, die fünf aus dem Westteil Berlins waren allerdings nicht stimmberechtigt. Vier Frauen hatten auch ein gehöriges Wort mitzureden, so Friederike Nadig, Helene Wessel, Helene Weber und Elisabeth Selbert, auf deren Initiative hin die Gleichberechtigung von Männern und Frauen berücksichtigt wurde.

Konrad AdenauerSehr wortgewaltig setzte sich auch der Präsident des Parlamentarischen Rates, der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer für das Grundgesetz ein. Die KPD war fundamental gegen das Grundgesetz und zeigte sich als verlängerter Arm der SED im Gremium, die damit ihre Chance auf ein kommunistisches Gesamt-Deutschland schwinden sah.

Die CSU – der bayerische Landtag lehnte zudem in der Nacht vom 19. auf den 20.Mai das Grundgesetz als einziges (west-) deutsches Länderparlament ab – stimmte ebenfalls gegen das Grundgesetz, da es ihr zu zentralistisch erschien.

Viele Sozialdemokraten äußerten ebenfalls erhebliche Bedenken, wollten zunächst nicht ohne ihre in der sowjetischen Besatzungszone unterdrückten SPD-Genossen in Mecklenburg, Thüringen oder Sachsen entscheiden.
Doch CDU, SPD und FDP stellten alle Bedenken zurück und so wurde das Grundgesetz Realität.

Ein wichtiges Signal für die Deutschen zwischen mecklenburgischer Ostseeküste und Sächsischer Schweiz war der Wortlaut der Präambel, die auf maßgebliche Initiative des Sozialdemokraten Carlo Schmid formuliert wurde und mit folgendem Satz endete: „ … Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“. Das Grundgesetz – letztendlich auch ein Wegbereiter der deutschen Einheit !

Schwerin-News stellte zum 60.Geburtstag des Grundgesetzes der Juristin Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider einige Fragen …

Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider wurde 1980 geboren und studierte an der Universität Rostock Rechtswissenschaften. Im Jahr 2008 promovierte sie zur Dr.jur. mit der Thematik „Das Sonderbefristungsrecht an Hochschulen und Forschungseinrichtungen nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz“. Die Mecklenburgerin ist auch stellvertretende Landesvorsitzende der SPD und zur Zeit Rechtsreferendarin.

„Der Aspekt der Gerechtigkeit stand für mich im Vordergrund …“

Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider über ihre juristische Berufswahl, den runden Geburtstag des Grundgesetzes und dessen „Vater“ Carlo Schmid

> Frage: Das Grundgesetz wird 60 – für Sie als Juristin ein Grund zum Feiern ?

ULW– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Ein Grund zum Feiern vielleicht nicht, aber ein Anlass sich in Erinnerung zu rufen, dass viele Aspekte im Grundgesetz verankert sind, die für unser Zusammenleben wichtig sind: so z.B. Grundrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und das Sozialstaatsprinzip.

> Frage: Der Vater des Grundgesetzes war der „universelle Kopf“ der SPD, Carlo Schmid, einer der herausragenden Denker der deutschen Politik des 20.Jahrhunderts. Was verbinden Sie mit Carlo Schmid ?

Carlo Schmid– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Carlo Schmid ist zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten. Persönlich beeindruckend finde ich die Rede vor dem Parlamentarischen Rat am 8. September 1948, in der Schmid die drei Merkmale einer demokratischen Verfassung benannte: 1. das Gemeinwesen muss auf die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Bürger gegründet sein, 2. die Gewaltenteilung und 3. die allgemeine Garantie der Grundrechte. Diese Aufzählung prägt das, was ich „feiern“ würde.

HL> Frage: Das Grundgesetz sollte nur ein Provisorium sein. Der CSU war es zu zentralistisch. Die SPD wollte damals eigentlich nichts ohne die unterdrückten SPD-Genossen in Mecklenburg, Thüringen und Sachsen entscheiden. Wäre eine „Generalüberholung“ des Grundgesetzes, eine echte Verfassungsdiskussion im Zuge der deutschen Einheit nicht sinnvoll gewesen ?

– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Eine Verfassungsdiskussion wäre im Einigungsprozess im Jahr 1990 sinnvoll gewesen. Es wäre gut gewesen, eine gemeinsame Verfassung als Zeichen eines gemeinsamen Neubeginns zu schaffen. Eine solche Debatte ist gerade im Hinblick auf die Bürgerinne und Bürger aus den so genannten Neuen Bundesländern nunmehr zu spät.

> Frage: Gibt es einen Artikel im Grundgesetz, der für Sie persönlich der wichtigste, der grundlegendste ist ?

– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Ja, die Garantie der Menschenwürde sowie das Sozialstaatsprinzip. Letzteres vor allem, weil die Anwendung gezeigt hat, dass es nicht nur ein Programmsatz ist, der in das Grundgesetz aufgenommen wurde, sondern konkrete Ausgestaltung durch Politik, aber auch Rechtsprechung gefunden hat.

> Frage: Sie sind selbst eine junge Juristin. Wählten Sie diesen Beruf als „Karriere-Leiter“ oder aus echter „Zuneigung“ ?

– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Klare Antwort: Zuneigung. Auch bei der Berufswahl stand der Aspekt der Gerechtigkeit für mich im Vordergrund. Ich habe früh angefangen, mich auf das Studium vorzubereiten – ich habe ein Schülerpraktikum bei Gericht gemacht und im Auslandsschuljahr Recht als Unterrichtsfach gewählt –, so dass ich wusste, was mich in der Rechtswissenschaft erwartet. Und eine Doktorarbeit schafft man auch nicht nur mit Blick auf die Karriere. Da gehört auch etwas Liebe zum Fachgebiet dazu.

> Frage: Kürzlich geriet der Ministerpräsident in die öffentliche Kritik, weil er das Unrecht in der DDR relativierte, wie ihm viele Kritiker vorwarfen. Wie ist Ihre Meinung zum politischen Charakter, zum Justizwesen in der DDR ? Immerhin wurden nach 1945 auch viele Sozialdemokraten Opfer der kommunistischen Justiz …

GG– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Der Ministerpräsident hat in allen Interviews gesagt, dass die DDR kein Rechtsstaat war, sondern dass es auch Willkür und Verfolgung gab. Er hat allerdings auch darauf verwiesen, dass viele Bürgerinnen und Bürger vieles geleistet haben, das wir nicht vernachlässigen dürfen. Die Einschätzung teile ich. Ich finde es gut, dass man wieder für die ein längeres gemeinsames Lernen eintreten darf, ohne dabei verhehlen zu müssen, dass dies in der DDR bereits so war.

> Frage: Europa rückt zusammen. Wird nicht irgendwann damit auch das Grundgesetz überflüssig ?

Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Selbst unter der angestrebten Europäischen Verfassung wäre das Grundgesetz nicht überflüssig geworden. Der Weg zu einem gemeinsamen Europa führt nicht dazu, dass die Länder ihre Souveränität aufgeben werden. Erst dann wäre das Grundgesetz überflüssig.

> Frage: Das Grundgesetz trat in der Nacht zum 24.Mai 1949 in Kraft. Fließt bei Ihnen zu später Stunde dann „Rotkäppchen-Sekt“ ?

– Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider: Aus sehr schönen „familiären“ Gründen trinke ich seit einigen Monaten keinen Alkohol… 🙂

Die Fragen stellte: Dr.Marko Michels.

F.: 1.Konrad Adenauer, Präsident des Parlamentarischen Rates und Bundeskanzler von 1949 bis 1963. (Landtag NRW) / 2.Dr.Ulrike Lehmann-Wandschneider, promovierte Juristin und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende M-V. (SPD M-V) / 3.“Vater“ des Grundgesetzes, u.a. Präsident der provisorischen Regierung von Württemberg-Hohenzollern bis 1947, Bundesminister und Mitglied des deutschen Bundestages 1949/72, Prof.Dr. Carlo Schmid. (Archiv/Bundestag) / 4.Hermann Lüdemann, entschiedener Gegner von Nazis und Kommunisten, im KZ von den Nazis inhaftiert, als SPD-Landesgeschäftsführer in M-V im November 1945 aufgrund seiner Ablehnung gegenüber einer KPD-SPD-Vereinigung von der sowjetischen Militäradministration abgesetzt, dann von 1947  bis 1949 Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, setzte sich mit Leidenschaft für die Verkündung des Grundgesetzes ein. (Landtag SH) / 5.Gehört in jeden Bücher-Schrank: das Grundgesetz.

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