Interview mit Leichtathletik-Trainer B.Jahn

Der Bundesausschuss Leistungssport des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) hat am Montag die endgültige Nominierung für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Osaka (vom 25. August bis 2. September) bekannt gegeben.

„Der DLV fährt trotz einiger Absagen mit einem großen und leistungsstarken Team nach Osaka“, sagte Cheftrainer Jürgen Mallow. Nach der letzten Leistungsüberprüfung bei der RAG-DLV-Gala in Wattenscheid umfasst das DLV-Team nun 60 Athletinnen und Athleten.

Aus Mecklenburg-Vorpommern nimmt ein Sextett vom SC Neubrandenburg teil: Kugelstoßen (F/M) – Ralf Bartels, Petra Lammert; Siebenkampf – Sonja Kesselschläger, Julia Mächtig (Ersatzfrau); Marathon – Ulrike Maisch und Diskus – Franka Dietzsch.

Nicht gemeldet wurden Speerwerfer Peter Esenwein (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg) sowie die 4×400-Meter-Staffel der Frauen. Bei den Männern wird es keinen deutschen Einzelstarter über 100 und 200 Meter geben. Abgesagt haben 10.000-Meter-Läufer Andre Pollmächer (LAC Erdgas Chemnitz; Knieverletzung) sowie die Marathonläuferin Claudia Dreher (LG Ihleläufer Burg; Fußverletzung).

Ein Großteil der Mannschaft reist bereits am Donnerstag (16. August) nach Shibetsu (Insel Hokkaido), um sich dort auf die Wettkämpfe in Osaka vorzubereiten.

Mit Schwerins Erfolgstrainer Bernd Jahn unterhielt sich Schwerin-News über die Entwicklung der Leichtathletik in Schwerin, über die WM in Osaka und die deutsche Talenteförderung

Frage: In zehn Tagen beginnen die Leichtathletik-WM in Osaka. Sie selbst haben eine Reihe von Weltklasse-Athleten betreut. Zuletzt gewann Ihr Schützling Andrea Philipp 1999 mit Bronze über 200 Meter eine Medaille bei einer Leichtathletik-WM für Schwerin.

Wie beurteilen Sie nun die Chancen des Neubrandenburger Sextetts in Japan ?

Bernd JahnBernd Jahn: Franka Dietzsch traue ich auf jeden Fall eine Medaille zu, eine ganz gute sogar: Wenn alles optimal läuft und die Tagesform stimmt, kann es sogar der Weltmeister-Titel werden.

Bei den Kugelstoßerinnen hat Petra Lammert auch Chancen auf Edelmetall. Zuletzt war sie aber nicht immer beständig. Der Weg zur WM-Medaille führt sicherlich über Team-Kollegin Nadine Kleinert.

Im Kugelstoßen der Männer scheinen zur Zeit die Amerikaner übermächtig zu sein, dazu kommen noch starke Einzelstarter aus West- wie Osteuropa. Für Ralf Bartels wird es in Osaka sicher ganz, ganz schwer, aufs Podest zu gelangen. Mehrkämpferin Sonja Kesselschläger und Marathonläuferin Ulrike Maisch könnten unter die Top 8 gelangen.

2. Die Leichtathletik-Abteilung des Schweriner SC konnte gerade in den letzten vier Jahren auf eine positive Entwicklung zurückblicken. Mit Anika Leipold stellt der SSC das Leichtathletik-Talent 2006. Was lief in den letzten Jahren so gut in der Schweriner Nachwuchsförderung ?

Bernd Jahn: Bei den letzten Jugendmeisterschaften konnten Athleten vom Schweriner SC vier Medaillen gewinnen. Das ist erneut fast optimal. Wir sind nur eine kleine Abteilung mit 300 Aktiven, davon 280 Kindern und Jugendlichen. Wir versuchen halt aus einer schwierigen Situation, zumal das wirtschaftliche Umfeld alles andere als gut ist, das Beste zu machen.

Gerade einem Talent wie Anika Leipold geben wir nicht nur sportliche Förderung. So kann sie auch eine Ausbildung bei der Sparkasse absolvieren und ist erst einmal beruflich abgesichert. Daneben gibt es noch einige andere Sponsoren, die unserem Verein sehr helfen.

Aber natürlich können wir uns beispielsweise nicht mit Bayer Leverkusen vergleichen, die in den letzten Jahrzehnten viel Zuwendung vom dort ansässsigen Unternehmen erhielten.

Wir haben in Schwerin viele kompetente Trainer und Übungsleiter mit langjährigen sportlichen Erfahrungen, die versuchen, ihre Schützlinge so gut es geht zu betreuen. Aber der „Bruch“ erfolgt, wenn das jeweilige Nachwuchs-Talent die Schule verlässt.

Oft fehlt es an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Dann verlassen diese Schwerin oder hören sogar ganz mit dem Sport auf. Es fehlt hier an einer echten nachhaltigen Förderung, an einer entsprechenden Kooperation zwischen Sport und Ausbildungs- bzw. Arbeitsstätten. Zwar gibt es die in Einzelfällen, aber will man Talente wirklich nach oben bringen, muß es generell erfolgen.

Frage: Schwerin hat ja eine ganz erstaunliche Tradition in der Leichtathletik. Gerd Wessig wurde Hochsprung-Olympiasieger 1980, Jürgen Schult schaffte das 1988 mit dem Diskus und Torsten Voss erkämpfte WM-Gold im Zehnkampf 1987. Die erste Leichtathletik-Medaille bei Olympia für M-V gewann auch ein Schweriner – Speerwerfer Walter Krüger errang Silber 1960.

Was muß sich ändern, damit Schwerin wieder an diese Traditionen anknüpfen kann ?

Bernd Jahn: Sehr sinnvoll wäre es, wenn es eine langfristige Kooperation zwischen Bundeswehr und Bundespolizei sowie dem Sport gebe.

Wenn man bedenkt, dass 86 Prozent der Wintersportler bei der Bundeswehr / Bundespolizei beschäftigt sind, wo es großzügige Regelungen in puncto Trainingszeit bzw. Arbeitszeit gibt, und sich dann die Zahlen in der Leichtathletik anschaut – hier sind gerade einmal 50 Athleten z.B. bei der Bundeswehr angestellt – dann kann man schon „neidisch“ werden.

Im Biathlon können pro Disziplin 5-6 Sportsoldaten an den Start gehen, in der Leichtathletik ist das bestenfalls nur einer pro Disziplin. Die Wintersportler sind mit ihrem Fördersystem damit international immens erfolgreich, die Leichtathleten „hinken“ hinterher.

Das A und O bleibt also: Nach der Schule brauchen unsere Talente eine berufliche Perspektive, bei der sie auch die Chance haben, ihren Sport optimal auszuüben.
Unsere Sportgymnasien sind hingegen schon eine wichtige Förder-Institution im schulischen Alter !

Frage: Die deutsche Leichtathletik scheint die sportliche Talsohle durchschritten zu haben. Gibt es in Japan einen „Medaillenregen“ ?

Bernd Jahn: Naja, ich glaube nicht, dass die deutsche Leichtathletik die Talsohle schon durchschritten hat. Eine erfolgreiche EM wie im letzten Jahr muß noch lange nicht eine ähnlich erfolgreiche WM bedeuten, bei der es noch einmal Leistungssteigerungen gibt, zumal die Welt-Elite aus Amerika, Asien und Afrika dabei sein wird.

Bei den Werfern und Kugelstoßerinnen ist sicherlich etwas drin, die Stabhochspringer sind als Team gut, vielleicht gibt es ja noch die eine oder andere Überraschung.

Es stimmt erst einmal hoffnungsvoll, dass es in der deutschen Leichtathletik wieder einige Talente gibt.

Frage: Wer ist für Sie die kompakteste Leichtathletin/der kompakteste Leichtathlet – national wie international ?

Bernd Jahn: National schätze ich die Speerwerferin Christina Obergföll hoch ein. Wie die nach ihrem Überraschungserfolg vor zwei Jahren umgegangen ist, war schon bemerkenswert.

Selbst wenn sie nicht top drauf ist, kann sie immmer noch gewinnen.

Ähnliches gilt für die russische Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa, selbst wenn sie in diesem Jahr nicht die Dominanz hatte: Auch sie kann an einem schlechten Tag noch gewnnen.
Christina Obergföll und Jelena Issinbajewa sind schon imponierende Athletinnen !

Text: Marko Michels

Foto: Marko Michels

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