Neue Thesen zum „Prager Frühling“

Der Anfang vom Ende des „Kommunismus“ ?! …

Der Rostocker Historiker, Prof.Dr. Werner Müller, stellte seine jümgsten Thesen zum „Prager Frühling“ vor, in denen er davon ausgeht, dass dieser den Anfang vom Ende des Kommunismus darstellt.

Sowohl u.a. im „Nordmagazin“ vom 28.Mai 2008 als auch in der heutigen SVZ vom 29.Mai 2008 wurde über die Veröffentlichung von Mülers Thesen berichtet.

Doch ist der „Prager Frühling“, sicherlich ein Meilenstein im Kampf für mehr Demokratie, für mehr Meinungs- und Pressefreiheit, für wirtschaftliche wie politische Reformen in der damaligen Tschechoslowakei, letztendlich für „einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ innerhalb des damaligen Ostblocks.

Alexander DubcekGerade im „Prager Frühling“ wurde der Freiheitswillen des tschechischen und slowakischen Volkes deutlich, wurde versucht die sowjetische Besatzung des Landes zu beenden.

Zu Recht würdigen wir die Protagonisten und Opfer des „Prager Frühlings“ 1968, doch markieren diese Ereignisse tatsächlich den Anfang vom Ende des Kommunismus.
Außerdem: Verlor der „Kommunismus“, wie Müller meint, nach 1968 weltweit tatsächlich an Einfluß ?

Zweifel sind da angebracht …

Zu viele Geschehnisse vor 1968 bleiben da ausgeblendet. Die gewaltsame Gleichschaltung der besetzten Länder nach 1945, das Installieren von pseudo-kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa und die militärische Besetzung von Ländern, wie der Tschechoslowakei, Polen, Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Jugoslawien oder Albanien, bleiben da unberücksichtigt.

Zudem: Was ist mit dem „Arbeiteraufstand“ 1953 in der DDR, mit den politischen Ereignissen in Ungarn und Polen 1956 oder mit dem „eigenständigen sozialistischen Weg Jugoslawiens“ – alles wichtige Daten, die mindestens eine ebenso wichtige Bedeutung wie der „Prager Frühling“ 1968 haben.

Und, wie steht es um die Ereignisse in Mitteldeutschland ?

In der DDR wurde nach 1945 seitens der russischen Militäradministration und der verbündeten KPD gewaltsam eine Diktatur geschaffen, die nie – im Laufe der Entwicklung bis 1989/90 – eine Mehrheit unter der Bevölkerung hatte.

Wie meinte der damals in Schwerin lebende SPD-Landesgeschäftsführer Hermann Lüdemann, der „auf Geheiß“ der sowjetischen Miltäradministration von seiner Funktion im November 1945 „entbunden“ wurde (Lüdemann war ein Gegner einer KPD-SPD-Vereinigung.),  im April 1946 zur gesellschaftspolitischen Situation in der russischen Besatzungszone: „ … Ich verkaufe mich nicht ! Ich lebe lieber in einem demokratisch-kapitalistischen Staat, als ein Sklave Russlands ! In Russland gibt es keine Demokratie ! Zu einer Demokratie gehört, dass es mehrere Parteien gibt. Dieses System wird in Russland nur durch die GPU (russische Geheimpolizei) aufrecht erhalten ! Alle sind dagegen, aber keiner traut sich, etwas zu sagen ! Dort sind alle Menschen genau so „für“ das System, wie hier „für“ die Einheitspartei. Die Kommunisten hier sind nur der Ausdruck des Willens der Russen und stützen sich auf ihre Bajonette ! Das Volk wird terrorisiert; es wagt gar nicht die meisten Missstände zur Anzeige zu bringen ! Vorgegangen wird nur gegen Sozialdemokraten, nie gegen Kommunisten ! …“.

Die erzwungene Vereinigung von KPD und SPD 1946 in der russischen Besatzungszone mit den Exzessen gegen Sozialdemokraten, die zu Tausenden verfolgt, verhaftet und sogar ermordet wurden, die gewaltsame Gleichschaltung der CDU und LDP in Mitteldeutschland, die brutale Besatzungspolitik der Roten Armee und der Widerstand vieler sozialer, christlicher oder liberaler Demokraten – auch das sind „Zäsuren“ für die Entwicklung des real existierenden „Sozialismus“ im letzten Jahrhundert.

Wie meinte schon Peter von Jüchen, Sohn des bekannten Schweriner Sozialdemokraten und Pfarrers Aurel von Jüchen, der wegen seiner demokratischen Gesinnung zwischen 1950 und 1955 in Workuta inhaftiert wurde, in einem Interview 1997: „ … Für meinen Vater war bereits 1946 – mit der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD – die Grundlage für den späteren Untergang der DDR gelegt.

Geht man sogar noch etwas weiter, so ist bereits mit der „erfolgreichen  Oktoberrevolution“ 1917, mehr Putsch, als Revolution, mit dem gewaltsamen Ausschalten der Menschewiki (der russischen Sozialdemokraten) und der gewaltsamen, blutigen Unterjochung Russlands durch die Bolschewiki die Grundlagen für den Untergang des real existierenden „Kommunismus“ geschaffen wurde. Innerhalb von nicht einmal einem Jahrzehnt schafften es die Bolschewisten aus der „Kornkammer Europas“, der Ukraine, ein Hungerland werden zu lassen. Die physische Vernichtung Andersdenkender, die Unterdrückung ethnischer Minderheiten, die Deportation ganzer Völker, die Militarisierung des gesamten Landes, der Aufbau eines kriminellen Sicherheitsdienstes und ständige Expansionsgelüste (gewaltsame Einverleibung Tannu-Tuwas, der Ukraine oder des Baltikums in das sowjetische Teritorium, der „Winterkrieg“ 1939/40 gegen Finnland) – das alles waren Markenzeichen  von Stalins Sowjetrussland.

Gerade auch die Annektion des Baltikums und der Ukraine und das Unterschätzen der Freiheitsliebe dieser Völker durch die „kommunistische“ Führung Sowjetrusslands waren ebenfalls gewichtige Faktoren für den Untergang des sowjetischen Imperiums.

Doch befand sich der real existierende Sozialismus („Kommunismus“) nach dem „Prager Frühling“ 1968 weltweit auf dem Rückzug ? Leider nicht, im Gegenteil.

Die Expansionsgelüste und das Installieren Moskau-höriger Diktaturen nahm nicht ab, sondern zu.

Zwar musste Breschnews Sowjetunion den Verlust dreier ehemaliger strategisch wichtiger „Verbündeter“ hinnehmen – 1966 Sturz von Kwame Nkrumah in Ghana, 1965 Absetzung Sukarnos in Indonesien und dann – nach Prag 1968 – Anfang der 1970er Jahre Abkehr des unter Nasser mit Moskau verbündeten Ägyptens von der UdSSR unter el-Sadat – aber in vielen Teilen der Welt wurde mit militärischer, finanzieller und materieller Hilfe der Sowjetunion mit ihr verbundene Diktaturen errichtet:

– Ende der 1960er Jahre: Verkündung des „Ujamaa-Programmes“, einer Art Verbindung aus Sozialismus und afrikanischen Strukturen, durch Julius Nyerere in Tansania
– 1967 Errichtung der Volksrepublik Südjemen, seit 1970 Demokratische Volksrepublik Jemen (von Moskau unterstützt)
– Staatschef Marien Ngouabi ruft 1970 die „Volksrepublik Kongo“ aus
– 1974 ff. Errichtung einer sozialistischen Militärregierung unter Mengistu Haile Mariam in Äthiopien
– 1975 Übernahme der Macht durch die kommunistischen Pathet Lao-Verbände in Laos
– 1976 Annahme einer neuen Verfassung (Algerien wird sozialistische Republik.) in Algerien / Präsident wird Houari Boumedienne.
– 1976 vollständige Besetzung Südvietnams durch die kommunistischen Truppen Nordvietnams / offizielle Vereinigung des Landes
– 1979 Einsetzen einer prokommunistischen Regierung unter Heng Samrin in Kambodscha (nach Intervention der vietnamesischen Armee gegen die „Steinzeit-Kommunisten“ der Roten Khmer)
– 1979 russische Invasion in Afghanistan (Errichtung des prokommunistischen Nadschibullah-Regimes)
– In den 1970er Jahren: Unterstützung der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront in Nikaragua (Sieg der sandinistischen Revolution 1979, neuer Machthaber: Daniel Ortega).
– Dank sowjetischer Unterstützung siegt 1980 in Simbabwe Robert Mugabe (bis heute diktatorischer Staatschef seines Landes.)
– 1981 auf russischen Druck: Verhängung des „Kriegsrechts“ in Polen durch Wojciech Jaruzelski.

Mit Moskau verbündete oder von Moskau unterstützte Diktaturen bildeten sich auch nach 1968 in Burma, Angola oder Mocambique heraus. Die UdSSR intensivierte nach 1968 auch ihre Unterstützung solcher Diktatoren, wie Zedenbal in der Mongolei, sie suchte den Schulterschluss mit Jugoslawien und begann zu Beginn der 1980er Jahre ihre Beziehungen zu den kommunistischen Diktatoren in China deutlich zu verbessern.
Bis zum Ende des „Kalten Krieges“ gab es ca. 82 Länder, die sich „kommunistisch“, „sozialistisch“ nannten oder von Moskau massive Unterstützung erfuhren.
Gerade in den 1970er und 1980er  Jahren bildeten sich viele prokommunistische Regierungen und regierungsähnliche Gruppierungen in Asien, Afrika oder Lateinamerika heraus (bei 177 Staaten bis 1990 auf der Welt).

Daher ist Müllers These, dass sich der „Kommunismus“ nach 1968 weltweit auf dem Rückzug befand, nicht korrekt.

Dennoch, die Freiheitskämpfer des „Prager Frühlings“ 1968 verdienen Respekt und Anerkennung und trugen sie doch erheblich dazu bei, das pseudo-kommunistische Gesellschaftssystem weltweit zum Einsturz zu bringen.
Leider mussten Millionen Menschen auf fast allen Kontinenten auch nach 1968 die „Vorzüge des real existierenden Sozialismus“ am eigenen Leibe erfahren: Misswirtschaft, Terror, Unterdrückung, Verfolgung Andersdenkender, Agieren krimineller Sicherheitsdienste und die Missachtung von Menschenrechten.

Hoffentlich gelingt der real existierenden Demokratie die „Wende“ zum Besseren ?!

Dr. Marko Michels

F.: Alexander Dubcek, einer der Wegbereiter des „Prager Frühlings“ 1968 / Archiv.

 

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