Vor 60 Jahren: Die Tätigkeit des SPD-Ostbüros

 Auch viele Sozialdemokraten aus M-V engagierten sich gegen die kommunistische Diktatur

Für die Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone allgemein wie in Mecklenburg-Vorpommern speziell endete im April 1946 die politische und organisatorische Selbständigkeit nach dem zweiten Weltkrieg.

Hatten viele Sozialdemokraten zwischen Mecklenburg und Sachsen nach 12 Jahren Unterdrückung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten auf einen demokratischen Neuanfang gehofft, so wurden ihre Erwartungen durch das diktatorische Verhalten der KPD bzw. sowjetischen Militäradministration schnell enttäuscht.

SPD-Zentren des WiderstandesDie erzwungene Vereinigung, die Liquidierung der SPD in der sowjetischen Besatzungszone im April 1946 beendete die kurze – ganze 10 Monate umfassende – Eigenständigkeit der mitteldeutschen Sozialdemokratischen Partei nach Kriegsende.

Zwar war der Handlungsspielraum der mecklenburgischen, thüringischen und sächsischen Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone durch die repressiven Maßnahmen der russischen Besatzungsmacht und der  deutschen Kommunisten gegen sie eng begrenzt, aber sozialdemokratische Aktivitäten und Engagement prägten gerade den Aufbau der Verwaltungen und der gesellschaftlichen Gremien auf Kommunal- und Länderebene.

Mit der „Zwangsvereinigung“ wurden die großen sozialdemokratischen Traditionen in Politik und Gesellschaft der mitteldeutschen Länder ebenfalls beseitigt.

Albert SchulzDie Situation nach der „Vereinigung“ im April 1946 beschreibt Peter Schulz, Zeitzeuge und Sohn des Rostocker Oberbürgermeisters Albert Schulz, rückblickend wie folgt:

„ … Wer als Historiker nachvollziehen will, wie damals der Zwang ausgeübt wurde, wie er sich konkret auswirkte, wie die Gedrängten versuchten, ihm zu entgehen oder sich ihm widersetzten, ist heute, …, in einer schwierigen Lage.

Er muß zunächst versuchen, die Situation nachzuvollziehen, in der die Sozialdemokraten sich damals in Magdeburg, Leipzig und Rostock befanden. Um es mit einem Bild aus der Leichtathletik auszudrücken: Sie waren in der Lage des Langstreckenläufers, dem irrtümlich vor dem wirklichen Ende der Strecke das erlösende Signal `letzte Runde` gegeben wird, und dem dann kurz vor dem Ende dieser Runde signalisiert wird, dass das leider ein Irrtum gewesen sei, dass das mörderische Rennen weitergehe.

Die Sozialdemokraten in Ostdeutschland hatten wie ihre Freunde in Westdeutschland geglaubt, nach dem Ende der Nazizeit `durchatmen` zu können, es hinter sich zu haben – die Anspannung wich der Erlösung; und sehr bald wurde ihnen signalisiert, dass sie noch einmal ihre Freiheit einsetzen mussten, um ihren Idealen treu zu bleiben, dass der Weg aus Bautzen zum Weg nach Bautzen werden würde, dass ihre Frauen wieder auf lange Zeit Angst um sie haben mussten, dass das Klingeln um 5.00 Uhr morgens nicht den Milchmann, sondern wieder die Männer in den Ledermänteln ankündigen würde …“.

Doch die mitteldeutschen Sozialdemokraten wie die SPD-Führung in den Westzonen um Kurt Schumacher wollten sich mit der Liquidierung der SPD in der sowjetischen Besatzungszone nicht abfinden.

So plante Kurt Schumacher – auf alte sozialdemokratische Traditionen während des Wilhelminismus und Nationalsozialismus zurückgreifend – bereits seit Februar 1946, zwei Monate vor der „Zwangsvereinigung“, eine Widerstandsorganisation in der russischen Zone einzurichten.

Der spätere Leiter des Ostbüros Stephan Thomas meinte dazu, dass „das Ostbüro unter der direkten Leitung des Vorsitzenden Kurt Schumacher geschaffen wurde“ – mit dem Ziel, „als Instrument der SPD für die kommende Auseinandersetzung mit dem kommunistisch-stalinistischen Machtanspruch in Deutschland zu dienen“.

Doch zunächst hatte das SPD-Ostbüro einen anderen Charakter bzw. sogar einen anderen Namen. Gegründet wurde es Anfang 1946 als „Betreuungsstelle Ost“ des SPD-Vorstandes in Hannover und sollte den in der sowjetischen Besatzungszone politisch verfolgten Sozialdemokraten, die der dortigen Haft und den dortigen Repressalien durch Flucht nach Westdeutschland entgingen, Unterstützung und Hilfe anbieten. Als Leiter dieser „Betreuungsstelle Ost“ fungierte zunächst Rudi Dux.

Machtverteilung Ende 1945 in MVDoch nicht nur politische Flüchtlinge der mitteldeutschen SPD wurden von der Betreuungsstelle unterstützt, zudem begann nach der „Vereinigung“ im April 1946 die „Betreuungsstelle Ost“ auch damit, die Sozialdemokraten in Mecklenburg, Brandenburg oder Sachsen mit Propagandamaterial (z.B. mit Flugblättern) zu versorgen bzw. Informationen über die politische Situation in der sowjetischen Besatzungszone zu sammeln.

Wie wichtig Kurt Schumacher die Bedeutung und der Erfolg des „Ostbüros“ war, belegt die Tatsache, dass es als Referat dem SPD-Parteivorstand direkt unterstand.

Helmut BärwaldDie Schwerpunkte der Tätigkeit des „Ostbüros“ ab 1946 skizziert der letzte Leiter des ab 1966 in „Referat für gesamtdeutsche Fragen“ umbenannten „Ostbüros“, der 2003 verstorbene Helmut Bärwald, folgendermaßen:

„ … Das Ostbüro hatte von Kurt Schumacher und von der SPD bei seiner Gründung eindeutige Aufträge und verbindliche Leitsätze für deren Ausführung bekommen. Dazu gehörten vor allem: Unterstützung der vom kommunistischen Regime in Mitteldeutschland unterdrückten und verfolgten Landsleute; Bekämpfung des kommunistischen Regimes mit politischen und publizistischen Mitteln; aktive Mitwirkung am beharrlichen Kampf aller Demokraten um die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden …“.

Um die Tätigkeit des „Ostbüros“ der SPD insbesondere bei Aktivitäten in Mitteldeutschland effektiver und professioneller zu gestalten, bediente sich das „Ostbüro“ ab 1947 – verbunden mit der Einstellung des ehemaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Günther Weber am 27.April 1947 und des neuen Leiters des „Ostbüros“ Siegmund Neumann und dessen Stellvertreter  Stephan Thomas – zunehmend nachrichtendienstähnlicher Methoden.

So wurde der Kurierdienst ab 1947/48 in die sowjetische Besatzungszone weiter ausgebaut, und auch die propagandistische Aktivität gegen die kommunistisch-stalinistische Diktatur nahm weiter. 1948 wurde dann in Berlin eine Zweigstelle des SPD-Ostbüros eingerichtet, die zum zentralen Anlaufpunkt für Kuriere und Boten in der russischen Zone wurde.

Erfolge und Niederlagen für das „Ostbüro“ lagen in den Jahren 1946 bis 1949 dicht beieinander. So musste seitens des „Ostbüros“ festgestellt werden, dass mit dem Kurier Karl-Heinz Schmiedel die ostdeutschen Behörden anscheinend einen Agenten in das „Ostbüro“ geschleust hatten, der vertrauliche Interna an russische Geheimdienststellen weitergab.

Zudem erlitt das „Ostbüro“ mit der Verhaftung von Heinz Kühne, ebenfalls einem wichtigen Kurier des „Ostbüros“, einen weiteren herben Rückschlag, zumal Kühne unter Druck und Folter wichtige Informationen über das „Ostbüro“ den russischen und ostdeutschen Sicherheitsbehörden preisgab.

Dennoch entwickelte sich das „Ostbüro“ in den Jahren 1946 bis 1948 zur wichtigsten Widerstandsorganisation nicht nur der ostdeutschen, sondern aller deutschen Sozialdemokraten gegen den kommunistisch-stalinistischen Herrschaftsanspruch in der sowjetischen Besatzungszone. Für Kurt Schumacher war es im Besonderen „die Institution der organisierten Sozialdemokraten gegen den Machtanspruch der Kommunisten in ganz Deutschland“.

Einer der wichtigsten Akteure des „Ostbüros“ für Mecklenburg und Vorpommern war Hermann Witteborn, zwischen November 1945 und April 1946 zunächst Mitarbeiter beim Landesvorstand der SPD in Schwerin und Gegner einer Vereinigung von KPD und SPD. Witteborn, Jahrgang 1913, trat 1930 der SPD bei.

Ab 1933 kämpfte er in der Illegalität gegen das NS-Regime und war zeitweise 1933/34 im KZ Lichtenberg inhaftiert. In den Jahren 1944 und 1945 mußte Witteborn als Zwangsrekrutierter in der deutschen Wehrmacht dienen.

Hermann Witteborn wurde nach der Wiedergründung der SPD im Juni 1945 ein enger Mitarbeiter der mecklenburgischen SPD-Vorstandsmitglieder Willi Jesse und Karl Moritz und konnte sich besonders mit deren Ablehnung einer Vereinigung mit den Kommunisten identifizieren.

Bis 1947 amtierte er als Vorsitzender des Jugendausschusses im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin. Bereits im Herbst 1945 mußte er – aufgrund seiner ablehnenden Haltung in der „Vereinigungsfrage“ – zahlreiche Schikanen der russischen Militärbehörden hinnehmen.

Seine Eigentumswohnung in Barth musste seine Familie räumen; zudem wurde er von Mitgliedern der KPD denunziert. Als seine Verhaftung im Herbst 1947 drohte, floh er mit der Familie nach Westdeutschland.

Damals schrieb er an den damals führenden SED-Funktionär (vormals KPD) in Mecklenburg, Kurt Bürger:  „ … Siehst Du, Genosse Bürger, weil ich … zu der Überzeugung kommen musste, dass man hier ein unehrliches Spiel spielt und weil ich weiß, wie gern man die `Freunde` (die Sozialdemokraten) bei Dingen `zuständig` macht, … wuchs in mir der Gedanke, es wird höchste Zeit, wenigstens das nackte Leben zu retten.

… Ich leide jetzt auch Not und Elend, aber ich bin wenigstens befreit von der Ungewissheit, wann werde ich fällig (verhaftet) sein. Gewiß, Genosse Bürger, das sind harte Worte, aber Hand aufs Herz, ist diese Tendenz nicht ein typisches Zeichen in der Ostzone …“.

Hermann Witteborn wurde dann innerhalb des SPD-Ostbüros ab Februar 1948 speziell zuständig für das Land Mecklenburg, um den dortigen, politisch verfolgten Sozialdemokraten zu helfen und den Flüchtlingen aus der rusischen Zone Unterstützung und Hilfe zu geben.

Albert KruseWeitere führende Sozialdemokraten in Mecklenburg, die 1947/48 engen Kontakt zum SPD-Ostbüro hatten, waren z.B. in Wismar Willi Visser, Henning von Kos und Karl Moritz, in Schwerin Bürgermeister Albert Kruse und Helmut Hiller, in Rostock Oberbürgermeister Albert Schulz und Heinrich Beese, in Boizenburg und Umgebung Günther Feldmeth oder in Stralsund Max Fank. 

Marko Michels

Grafiken (M.Michels)

Fotos: LHA (3) 

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