Vor 60 Jahren – Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typus“

Prominente Opfer auch in Schwerin

SchlossWenn am morgigen Montag Erwin Sellering zum neuen Ministerpräsidenten in M-V gewählt wird und mit ihm die neuen Ministerinnen Manuela Schwesig (Soziales und Gesundheit), Heike Polzin (Finanzen) und Volker Schlotmann (Bau und Verkehr) vereidigt werden, so liegt dazwischen auch 75 Jahre Kampf der Sozialdemokraten gegen alten und neuen Nazismus, aber auch eine mehr als sechzigjährige antikommunistische Tradition.

Dass Erwin Sellering und seine neuen Ministerinnen und Minister am morgigen 6.Oktober ihre Amtsgeschäfte aufnehmen können, und die SPD seit nunmehr 14 Jahren in der Regierungsverantwortung in Mecklenburg-Vorpommern ist, hat seine Wurzeln, sein Selbstverständnis auch im sozialdemokratischen Widerstand gegen den Stalinismus nach 1945 in Mecklenburg und Vorpommern.

Die Durchsetzung des (Marxismus-)Leninismus-Stalinismus innerhalb der 1946 auf Druck und Zwang der russischen Besatzungsmacht und KPD-Führung gegründeten SED war mit dem Kampf gegen Oppositionelle in den „eigenen Reihen“, insbesondere gegen die früheren SPD-Mitglieder, verbunden.

So hatte Walter Ulbricht auf einer SED-Parteivorstandstagung am 29./30.Juni 1948 die Partei neuen Typus gefordert, die sich ideologisch und organisatorisch an der Vorbildrolle der KPdSU orientieren sollte. Mit dieser Forderung verband sich im September 1948 der Beschluß des SED-Parteivorstandes zur „organisatorischen Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen“. Gedacht war an ein Kontrollgremium in der Größenordnung von 200000 bis 250000 Parteifunktionären. Diese sollten „generalstabsmäßig“ die Säuberung der SED von „Feinden“, insbesondere von früheren Sozialdemokraten, betreiben.

Und man hielt sich nicht lange mit Beschlüssen auf. Schnell wurde der Kampf gegen die Sozialdemokraten und den „Sozialdemokratismus“ praktisch umgesetzt.

Hatte in Mecklenburg-Vorpommern die KPD-Landesleitung unter Gustav Sobottka und Kurt Bürger nach Kriegsende in den einzelnen Orten und Landkreisen ein umfangreiches, flächendeckendes Netz von kommunistischen Spitzeln geschaffen, so bestand ab 1947 als zentrales Organ der Politischen Polizei innerhalb der Deutschen Verwaltung des Innern das „Kommissariat 5“. Dieses wurde im Zusammenhang mit dem Befehl Nr.201 der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) von Mitte August 1947 eingerichtet und hatte zunächst besondere Ermittlungsfunktionen bei der Entnazifizierung und der Beseitigung des „Sozialdemokratismus“. Offiziell war die Abteilung K 5 eine Abteilung der Kriminalpolizei, faktisch jedoch handelte es sich um einen Überwachungsapparat mit sorgfältig ausgewähltem, zumeist aus der KPD stammenden  Personal, das der russischen Besatzungsmacht unterstand.

Und Sozialdemokraten, die überzeugte Gegner einer Zusammenarbeit oder gar Vereinigung mit der KPD waren, gerieten schnell ins „Visier“ der kommunistischen Sicherheitsbehörden.

Prominente Opfer der mecklenburgischen Landesparteikontrollkommission zwischen 1948 und 1950 waren u.a. die in die SED zwangseingegliederten Sozialdemokraten Albert Kruse, Bürgermeister in Schwerin, Albert Schulz, Oberbürgermeister in Rostock, Karl Moritz, Kreisvorsitzender der SPD Wismar nach 1945, Max Fank SPD-Vorsitzender in Stralsund, Bernhard Pfaffenzeller, Landrat des Landkreises Hagenow, Erich Michel, Landrat des Landkreises Grevesmühlen-Schönberg, und Aurel von Jüchen, Pfarrer an der Schweriner Schelfkirche, die 1948/49 aufgrund ihrer sozialdemokratischen Gesinnung aus der SED ausgeschlossen wurden., sowie Friedrich Schwarzer, Oberbürgermeister in Neubrandenburg, Walter Freese, SPD-Vorsitzender in Greifswald, oder Wilhelm Dühring, SPD-Vorsitzender in Neubrandenburg, die ebenfalls wegen „praktizierten Sozialdemokratismus“ 1950 aus der SED „entfernt“ wurden.

LüdemannKruseDer in Schwerin lebende Heimatschriftsteller Wilhelm Harms, der nach 1945 in die SPD eintrat, mußte „sein“ Mecklenburg ebenso verlassen wie der ebenfalls in Schwerin lebende Hermann Lüdemann, der bis November 1945, bis zu seiner Absetzung durch die russischen Miltärbehörden, als SPD-Landesgeschäftsführer amtierte. Der hatte die erzwungene Vereinigung mit der KPD stets abgelehnt und deutlich kritisiert: „ … Ich verkaufe mich nicht ! Ich lebe lieber in einem demokratisch-kapitalistischen Staat, als ein Sklave in Russland ! In Russland ist keine Demokratie. Zu einer Demokratie gehört es, dass es mehrere Parteien gibt. Dieses System wird in Russland nur durch die GPU (geheime Staatspolizei) aufrecht erhalten. Alle sind dagegen, aber keiner traut sich, etwas zu sagen ! Dort sind alle Menschen genau so `für` das System, wie hier für die `Einheitspartei`. Die Kommunisten hier sind nur der Ausdruck des Willens der Russen und stützen sich auf ihre Bajonette. Das Volk wird terrorisiert; es wagt gar nicht die meisten Missstände zur Anzeige zu bringen …“

Anfang 1948 flüchtete der Leiter der Abteilung „Allgemeine Verwaltung“ im Ministerium für Innere Verwaltung Mecklenburgs, Franz Ballerstedt, aufgrund einer drohenden Verhaftung durch die russische Geheimpolizei – Grund: seiner Kontakte zum SPD-Ostbüro – nach Westdeutschland fliehen. Das mußte ebenfalls im Oktober 1948 Bernhardt Schwerdfeger, der Leiter der Oberpostdirektion in Schwerin, der ebenfalls für die SPD-Widerstandbewegung tätig war.

Sozialdemokrat Erich Radtke, Direktor des mecklenburgischen Landtagsbüros in Schwerin, wurde im März 1949 verhaftet, mußte jahrelang in russischen Lagern schlimmste Repressionen hinnehmen. Verhaftet wurde Erich Radtke wegen seine Widerstandes gegen die SED-Politik. Hagenows Landrat Bernhard Pfaffenzeller oder Hans-Joachim Roskam aus Schwerin, persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Wilhelm Höcker bis 1949, wurde im genannten Jahr wegen seiner SPD-Ostbüro-Kontakte außerdem verhaftet und kam während seiner Inhaftierung um.

Ekkehard Schütze, Jahrgang 1908, gestorben 1981, habilitierter Mediziner am Klinikum Schwerin, wurde Anfang der 1950er Jahre als ehemaliger Schweriner Sozialdemokrat aus der SED ausgeschlossen, nachdem er die Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typus“ offen kritisierte. Er hatte sich nach 1945 insbesondere bei sozialen Projekten bzw. in der Sozialpolitik Mecklenburgs engagiert. Er konnte allerdings seine Tätigkeit als Arzt weiter ausüben, da Mediziner unbedingt gebraucht wurden. Seine Maxime damals: „Das Elend um mich herum verdirbt mir die Freude am eigenen Wohlergehen und nimmt mich in die Pflicht, denen zu helfen, die sich selber nicht helfen können.“

Ein hartes Schicksal ereilte den ab Dezember 1945 als SPD-Landesgeschäftsführer fungierenden Willi Jesse, der zwischen 1946 und 1954 – u.a. im Gefangenenlager bei Irkutsk am Baikalsee – wegen seines demokratischen Aufbegehrens inhaftiert wurde, und als Zwangsarbeiter schwerste körperliche Arbeit verrichten mußte.

Wie meinte nach der Wende Peter Jessel, Mitglied des Museumsbeirates Hagenow, in seinem Beitrag „Bernhard Pfaffenzeller – erster Landrat des Landkreises Hagenow 1945“:
„ … Achten wir die errungene Freiheit. Verhindern wir in der Zukunft Bürokratie, Geheimniskrämerei und Denunziantentum, hüten wir uns vor Neid und Missgunst, üben wir Toleranz und wiederholen nicht die Fehler der Vergangenheit.
Zwei blutige Diktaturen in einem Jahrhundert reichen unserem deutschen Volk.“.

Wenn nach Prof. Dr. Alfred Gomolka (CDU) 1990/92, Dr. Berndt Seite (CDU) 1992/98 und Dr.Harald Ringstorff (SPD) 1998/2008 mit Erwin Sellering der vierte Ministerpräsident in Mecklenburg-Vorpommern nach der friedlichen Revolution 1989/90 und der deutschen Vereinigung 1990 morgen demokratisch im Landtag gewählt wird, dann sollten manche Politikmüden und Politikverdrossenen sich auch an die treffenden Worte von Peter Jessel erinnern.

Nur destruktiv kritisieren , nur nörgeln an Personen und Politik-Konzepten ist keine Teilhabe an der Demokratie. Diese ist ständig in Gefahr, nie vollendet und bestimmt auch nicht immer in guten (Politiker-)Händen.

Aber mitgestalten, sich selbst einbringen sowie offensiv bzw. sachlich Kritik zu äußern und vor allem – mit Blick z.B. auf die Kommunalwahl oder Bundestagswahl 2009 – wählen zu gehen, dass sollte als aktiver Dienst an und für die Demokratie verstanden werden.

Ansonsten braucht man sich nicht zu wundern, wenn Demokratie zum Demokratismus mutiert.

Dem neuen Ministerpräsidenten, der beiden neuen Ministerinnen und dem neuen Minister – gleiches gilt für die „alte Garde“ – natürlich politische Erfolge für die Menschen in M-V „nonstop“ und wie meinte Alt-Kanzler Schröder nach der Ära von Alt-Kanzler Kohl: „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen …“ In diesem Sinne !

M.Michels

2.Foto: H.Lüdemann. / 3.Foto: Albert Kruse.

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